Von Schwerhörigen, Christbäumen und tanzenden Männern

An den Füßen dicke Moonboots, stapft Jus Dillon-Wurst durch den Schnee. Er ist auf einer Mission unterwegs. Seine Mitarbeiter haben ihn losgeschickt. Einen Baum soll er mitbringen. In der Kanzlei Cornwall and More, deren Senior Partner Dillon-Wurst ist, steht noch kein Weihnachtsbaum. Der Schmuck liegt in der Ecke. Aber für den Behang fehlt das Behängbare. Das zu ändern, ist heute der Job eines der besten Juristen, den Deutschland zu bieten hat.

 

Herausforderungen hat der Top-Jurist aus Baden-Baden, mit Wurzeln in Marburg-Marbach, noch nie gemieden. Erst recht nicht, bei Minus 46 Grad und zwei Metern Neuschnee durch die Weiten des Erzgebirges zu stiefeln auf der Suche nach einer feinen Tanne statt einer teuren Fichte. Die hätte es beim Baumarkt gegeben. Die 9,80 Euro pro laufendem Meter Baumhöhe wollte Jus Dillon-Wurst aber nicht zahlen. Stattdessen steht er nun hier im Erzgebirge ziemlich planlos in der Gegend herum.

 

Ein Förster kommt des Weges. Der Mann in Grün mustert den seltsamen anderen Mann in diesen noch seltsameren Stiefeln. Ob er sich verlaufen habe, fragt der Förster den Juristen. Keineswegs, kontert der. Eher ein Baum treibe ihn in diese gottverlassene Gegend.

Dann geht es los.

„Was für ein Baum?“

„Einer zum Behängen.“

„Sie möchten sich erhängen?“

Jus Dillon-Wurst bemerkt, dass der Oberförster vergessen hat, seine orangefarbenen Ohrenschützer abzusetzen. Sie pressen sich links und rechts gegen die Ohren des Waldmannes. Eben noch sägte der eine Lärche um. Mit der Kettensäge.

„Nicht erhängen. BEhängen!“

 

Die Augen des Försters weiten sich. Schon wieder einer mit Kugeln und Lametta Bewaffneter, der sich in seinem Wald austoben will. Nicht mit mir, Freundchen, denkt er sich. Ganz langsam greift der Förster nach links, findet das Band seiner Flinte.  Den Moment, als Dillon-Wurst einem Eichhörnchen hinterherschaut, will der Förster nutzen. Doch der Jurist wäre nicht der beste seiner Zunft, hätte er diesen Schachzug nicht kommen sehen. Er springt stattdessen zur Seite, greift im Flug das flüchtende Eichhörnchen, schleudert es in Richtung des bewaffneten Mannes und trifft. Im linken Nasenloch vom Förster steckt tief drinnen eine Eichel. Das Eichhörnchen versucht verzweifelt, seine Winterration aus dem Riechorgan des Försters zu ziehen. Vergeblich. Bevor das Hörnchen aufgibt, hebt es, noch immer im Gesicht des Mannes sitzend, seinen buschigen Schwanz, zielt und schießt dem Förster zur Strafe eine Ladung Hörnchendung ins Gesicht.

 

Jus Dillon-Wurst sitzt derweil seit Minuten auf einem Baumstumpf, klopft sich auf die Schenkel und kann nicht mehr.

Aufs Kämpfen ist keiner der beiden Männer jetzt noch aus. Sie nehmen sich stattdessen in die Arme. 

„Jus.“

„Urs.“

„Dillon-Wurst.“

„Von Forst.“

Nach einer endloslangen Vorstellungsrunde unter Zweien, überlegen sie, wo der Jurist nun endlich seinen Christbaum herbekommen könnte. 

„Weißt du Jus, die Bäume hier in meinem Wald sind allesamt festgewachsen.“

„Das verstehe ich nicht. Die werden doch ständig von Familien aus den Schonungen herausgeholt, aufs Autodach verfrachtet, festgezurrt – und dann ab nach Hause.“

„Ja, weil die Leute sie dort vor Ort absägen.“

Jetzt sind es die Augen des Top-Juristen, die sich weiten. Ein leichter Schimmer überzieht die Linsen. Ein Tropfen. Im Schnee schmilzt er ein kleines Loch in die weiß schimmernden Kristalle. Eine zweite Träne. Und dann fließt es nur so aus Jus Dillon-Wurst heraus.

Der muss sich auf dem Oberförster abstützen. „Die sägen tatsächlich die Stämme durch?“

„Ja, tun sie. Das musste ich vorhin auch, weil ich meine Axt vergessen hatte.“

„Das beruhigt mich jetzt aber ungemein, Urs“, sagt Jus.

„Du hast eine Axt dabei?“, fragt Urs Jus.

„Habe ich, Urs.“

„Fein.“

 

In seinen silbernen Moon-Boots sieht man Jus Dillon-Wurst durch den tiefen Schnee des Erzgebirges davon stapfen. Neben sich einen Mann im grünen Zwirn. Zwei Männer, die auf einer Mission unterwegs sind. Es gilt, ein Bäumchen für die Kanzlei zu holen. Aus dem Wald.

Am Eingang der dichten Fichten steht ein Mann. Gekleidet in einen langen Pelzmantel mit Strasssteinen am Kragen. Er stellt sich als Dimitri vor, Besitzer dieses Wäldchens.

„Was wollt ihr hier, ihr zwei Kerle?“, fragt Dimitri Jus und Urs.

„Wir wollen einen Baum schlagen“, antworten beide gleichzeitig.

„Ihr wollt mir an den Kragen?“

„Nicht Kragen, SCHLagen!“ Urs und Jus schauen sich an.

Das alarmiert den Bemantelten noch ärger und er holt weit aus. Mit einem Krachen knallt seine riesige Faust zuerst an den Kiefer des Försters aus dem Erzgebirge, bevor die weiter schwingende Faust auch den Juristen aus Baden-Baden niederstreckt. Da liegen sie nun im meterhohen Schnee. Ohne Baum. Ohne Gesundheit. Aber mit höllischen Kieferschmerzen.

 

Dimitri kaut derweil gelangweilt auf einem Stück Marmorkuchen herum. Als Dimitri endlich begreift, dass es den beiden Männern tatsächlich nur um ein Bäumchen geht, das sie mit ihrer Axt fällen wollten, beginnt der riesige Mann ganz laut zu lachen. Er nimmt die beiden in die Arme und gemeinsam stapfen drei Männer durch meterhohen Schnee im Nirgendwo des deutschen Erzgebirges. Vor ihnen ein Wäldchen mit vielen feinen Fichten. Und noch mehr Männern, die eines eint: eine eigentümliche Schwerhörigkeit.

 

Zwei Wochen später steckt ein Postbote in Baden-Baden ein Briefkuvert in den goldenen Briefkasten der Kanzlei Cornwall and More. Absender ist ein gewisser Jus Dillon-Wurst. Der Top-Jurist hatte diesen Brief zusammen mit einem Foto ins Kuvert gesteckt. Oben in der Kanzlei öffnen die Mitarbeiter das Kuvert und erstarren. Inmitten einer weiten Schneelandschaft mit nichts als Schnee stehen 23 Männer um einen Baum herum, fassen sich an den Händen und lächeln. Die Mitarbeiter meinen, einen von ihnen zu erkennen. Aber diese seltsamen Schuhe, in Silber, nein wohl doch nicht. Sie müssen sich irren.

 

Im Besprechungsraum vor einer dunklen holzvertäfelten Wand steht ein geschmückter Christbaum. 9.80 Euro der laufende Meter.

 

Ich wünsche Ihnen und euch einen ruhigen und vor allem gesunden 3. Advent!

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Daniel Grosse (Sonntag, 27 November 2022 09:03)

    Liebe