Adieu! Und weiter geht`s - vom Pfleger zum Blogger

Was macht der Kerl bloß?, schrieb ich vor einigen Monaten bei LinkedIn. Es ist kurz vor Weihnachten, 2020. Draußen ist es trübe, immer wieder ist in den vergangenen Tagen etwas Schnee gefallen. Kalt. Feucht. Das nächste Frühjahr noch Welten entfernt. Mein Weg zur Arbeit führt mich zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Wochen allmorgendlich durch den Marburger Stadtteil Marbach. 20 Minuten. Unvergesslich bleiben wird für mich das Vorbeischlendern an Gräbern in Dunkelheit. Diese Ruhe. Höchstens das Knirschen im Schnee ist zu hören. Wenn denn mal welcher fällt. Marburgs größten Friedhof durchquere ich auf meinem Weg zur Arbeit. Mein Ziel um 7.20 Uhr ist ein Alten- und Pflegeheim mit jahrzehntelanger Tradition weit oberhalb von Marburg.

 

Arbeitet jetzt als Wohnbereichshelfer für ältere Menschen. So fuhr ich fort in meinem Beitrag auf LinkedIn. Nach den vielen Jahren als Autor und Journalist für lokale und überregionale Medien, ist der berufliche Sprung hinein in die Blackbox Alten- und Pflegeheim kein kleiner. Was wird mich dort erwarten? Was werden mich die künftigen Kolleg:innen so alles fragen? Da kommt einer vom Schreiben, ein Journalist. Kann der was? Will der gar nur darüber schreiben, was hier passiert? Das sind Gedanken, die mich in diesen Tagen Ende 2020 beschäftigen. Und diese Fragen kommen tatsächlich. Manche auch ohne Worte. Jedoch niemals kritisch. Niemand wirkt negativ. Eher die Neugier treibt meine neuen Kolleg:innen. Ein tolles Team! Ich jedenfalls bin wild entschlossen, in diesem Pflegeheim alles zu geben. Und mit Menschen konnte ich schon immer - ganz gleich, ob klein, groß, jung, alt, mit oder ohne Behinderung, dement oder noch ganz im Hier.

 

Wie so ein Arbeitstag aussieht? Ich beschreibe das mal. 

 

7.30 Uhr. Dienstbeginn. Spätestens ab jetzt läuft das Radio. Ein Stück Normalität und Routine für die Bewohner schaffen. Das ist wichtig. "Heute hier?", fragt mich ein älterer Herr im Rollstuhl. Jeden Morgen ist er der erste im Gemeinschaftsraum. "Ja, heute hier", antworte ich und bin in Gedanken schon bei Tellern, Tassen, Besteck, Bechern, Saftzubereitung, Tabletts, Mundtüchern. Jeder Griff muss sitzen. Gleich, um 8 Uhr, hole ich den großen Essenswagen aus der Zentralküche. Enge Taktung. Das wird mir sofort klar, als ich bei meinem neuen Arbeitgeber anfange. Da kannst du noch so toll im Abitur gewesen sein oder brillant im Studium, hier geht es ums Elementare: Essen, Trinken, Pflege, füreinander da sein. Die hohe Schlagzahl von 7.30 bis 9.30 Uhr ist irgendwie wie im Nachrichtengeschäft bei der Zeitung, bei der ich vor Jahren mein Volontariat absolviert hatte. Doch selbst, wenn Stress aufkommt, sollen die Bewohner:innen, das nicht merken. Ungeachtet etwaiger Regeln des Hauses, nehme ich mir das von Anfang an fest vor. Auch Streit oder bloße Spannungen zwischen uns Kolleg:innen, darf die Stimmung der Älteren nicht trüben.

Nicht nur hauswirtschaftlich arbeite ich dort in einer festen Wohngruppe mit großem Ess- und Gemeinschaftsraum. Jeder hat sein eigenes Zimmer. Paare wohnen miteinander. Ich unterstütze, betreue und begleite die Bewohner:innen in deren Alltag, vor allem bei den Mahlzeiten. Wir füttern dort niemand. Wir helfen, reichen das Essen an. Das klingt nicht nur schöner, das trifft es auch tatsächlich besser. Denn jeder volle Löffel, jede Gabel, fördert ein klein wenig den Beziehungsaufbau - eine elementare Aufgabe für uns Mitarbeiter:innen. Ganz gleich, ob Pfleger:in, Betreuer:in, Wohnbereichshelfer:in oder Kolleg:in in der Hauswirtschaft.

 

Namen merken ist fürchterlich

 

Je nach individuellen Interessen, gilt es, die Bewohner in die Hausgemeinschaft einzubinden. Diese streiten, lachen, singen, diskutieren miteinander, und sie tauschen sich aus über frühere Zeiten - jeder so, wie sie oder er das noch schafft. Wie oft wir dort doch miteinander gelacht haben, denke ich heute, wenn ich diesen Text hier schreibe. Herbst 2021. Vor rund einem Jahr hatte ich in diesem Marburger Alten- und Pflegeheim begonnen. Nun ziehe ich weiter, kehre gleichzeitig heim in meinen alten Beruf. Mein Weg wird mich hoffentlich schon bald in eine Redaktion führen, in ein Medienhaus, zu einer Zeitung oder in eine Pressestelle oder Kommunikationsabteilung. Ein Schreibtisch, aber Stühle auf zwei Seiten desselben. Für die Stühle auf beiden Seiten bin ich bestens präpariert. In Theorie und Praxis.

 

Lehrer hätte ich partout nicht werden können. Aus einem Grund, der profaner nicht sein könnte. Der Beruf ist es nicht, was mich hätte verzweifeln lassen. Aber wie um alles in der Welt soll ich mir ständig neue Namen merken. Genauso erging es mir in den ersten Tagen dort oben in dem Alten- und Pflegeheim. Meine Töchter hatten noch extra Namenskärtchen gestaltet. Die verteile ich morgens im Tagesraum. Jeder Bewohner hat seinen festen Platz. Ich will jeden mit seinem Namen ansprechen. Möglichst bald. Dank der kleinen Kärtchen gelingt das recht schnell. Schon bald verschwinden die ersten Namenskarten, wohin auch immer. Nun kenne ich, gottlob, die Namen meiner Bewohner:innen. 

 

Mix aus vielen Berufen

 

"Noch ein Kaffee oder einen Energy?", frage ich einen Bewohner. "Joh." Er lächelt. Das sind die Momente, wo wir miteinander scherzen. Der Schalk sitzt dem Bewohner im Nacken. Er lässt sich gerne necken. Reagiert schlagfertig. Ich mag meine Bewohner:innen. Mal ist es der Griff zum eigenen löslichen, koffeinfreien Kaffee, das Trinken aus einer besonderen Tasse oder der eigene Honig aufs Brot, was zur Routine einiger Bewohner:innen gehört. Jeden Morgen. Und das ist gut so. Routinen beruhigen.


Auf enge Zusammenarbeit mit dem Team der Pflege und der Sozialen Betreuung kommt es an. So unterstütze ich auch bei leichten Pflegetätigkeiten. Beschäftigt bin ich als Wohnbereichshelfer. Mehrere Monate kam das Pflegerische hinzu. Dann begleite ich bei Toilettengängen, lagere Bewohner:innen, die sich nicht mehr selbst im Bett drehen können, helfe beim Waschen und Anziehen und bin Maschinenbediener. Der Lifter ist so etwas wie ein kleiner Kran. Er hebt ganz sanft den Menschen aus der sitzenden Position empor. Mehrere Meter Entfernung zum Bett oder ins Bad lassen sich mit diesem praktischen Ding ganz einfach überwinden. Wo und wann immer es geht, heben wir die Bewohner:innen mit Muskelkraft. Aber nicht immer gelingt dies.

 

Hygieneaufgaben und Dokumentation gehören zum Alltag

 

Getränke- und Speisenversorgung, dafür bin ich ebenso zuständig. Auch reinige ich als Wohnbereichshelfer Regale, Tische, die kleinen Küchen und fülle regelmäßig den Pflegewagen auf. Der muss 24/7 gut gefüllt sein mit allem, was die Pflegekräfte so brauchen für ihre Arbeit. Ganz wichtig für alle: tägliche Temperaturkontrolle der Kühlschränke. Dokumentiert wird dabei jeder Schritt. Temperaturabweichungen ins Extrem, sind bei Lebensmitteln gefährlich. Umso gefährlicher, wenn sie in einem Alten- und Pflegeheim gegessen und getrunken werden. Stichwort Immunabwehr.

Was noch? Essens- und Trinkmengen der Bewohner dokumentieren. Und: lüften, lüften, lüften. Regelmäßig. Ich habe das Pech, dass ich in dem Alten- und Pflegeheim zur Hoch-Zeit von Corona anfange. Allein das Arbeiten ohne Maske, ist undenkbar. Manche Bewohner haben mich in meiner Anfangszeit keine Sekunde ohne Maske gesehen. Sie kennen nur mein halbes Gesicht. Mimik? Fehlanzeige. Und doch ist sie eigentlich so wichtig, wenn wir mit Menschen zusammen sind, mit ihnen reden. Wer erkennt schon ein Lächeln hinter einer FFP 2 Maske?

13 Uhr. Dienstende. Nun verstummt das Radio. "Morgen auch hier?", fragt mein Bewohner, der Herr im Rollstuhl. "Ja, morgen auch." 

 

Als Wohnbereichshelfer ist mein Arbeitstag nun bereits beendet. Beim Dienst in der Pflege, an solchen Tagen, bleibe ich bis nachmittags. Dienstbeginn ist dann manchmal auch erst mittags und geht bis zum frühen Abend.

 

Ein Kapitel endet, ein neues startet

 

Doch am morgigen Sonntag, Halloween 2021, endet dieses Kapitel Alten- und Pflegearbeit mit seinem Mix aus Gastronomie, Pflege, Hauswirtschaft und Betreuung. Zumindest für mich endet dieser Weg. Schön ist es, dass er nicht zur Sackgasse wird. Ich darf nun wieder das machen, was ich gelernt habe, worin ich ausgebildet wurde. Journalismus, Schreiben, Recherchieren, Texten, kreativ sein, Planen, Konzipieren, Unterhalten, Informieren - all das gehörte viele Jahre zu meinem, meist sehr befriedigenden, Alltagsgeschäft.

 

Ausgebildet als Journalist der alten Schule in den frühen 2000ern, lernten wir noch nicht cross-medial. Das Digitale war gerade im Kommen, setzte sich nicht sehr viel später bereits zunehmend durch - verdrängte zum Teil die gute alte raschelnde Zeitung. Auch wenn sehr viele Chefredakteure in den Medienhäusern Bits and Bytes in stiller Eintracht neben papiernen Druckerzeugnissen sehen wollen, so ist es vielleicht doch - leider - nur eine Frage der Zeit, bis kein Werber sich mehr Kampagnen ausdenken kann wie: Dahinter steckt immer ein kluger Kopf. Obwohl, auch hinter einem Tablet mit E-Paper oder Online-Auftritt eines Mediums, kann ein Kopf verschwinden. Liebe Werber:innen, ich nehme alles zurück.

 

Bei aller Wehmut, meine Bewohner:innen und Kolleg:innen wohl in den kommenden Jahren nicht mehr regelmäßig sehen zu können, freue ich mich auf die mir so wohl bekannte Welt rund um Text und Bild. Die Felder Redaktion, Recherche, Text, Media, Publishing, Storytelling, Online und Print konnte ich vor einigen Jahren noch um Wissen und Fertigkeiten aus der PR-Arbeit erweitern: mit einem berufsbegleitenden, praxisorientierten Fernstudium inklusive mehrtätiger Präsenzphasen sowie abschließender Prüfung in Theorie und Praxis. Pressestelle, Medienarbeit, Corporate Publishing, PR und Kommunikation sind mir auch deshalb nicht bloß sehr vertraute theoretische Begrifflichkeiten, sie sind gleichsam praktische Arbeitsfelder für mich.

 

Weg ins Digitale mit Chance auf Rückkehr

 

Mit diesem Blog BERUFEBRUCH vertiefe ich zusätzlich Themen rund um Beruf, Karriere, Brüche und Psychologie. In Kürze festige ich meine Fertigkeiten rund ums Digitale noch mit einem mindestens mehrwöchigen Seminar in der Unternehmenskommunikation - beim Kölner mibeg-Institut Medien. Themen wie Konzeption, Print- und Online-Medien, Social Media, SEO, Storytelling und Marketing spielen dort eine wichtige Rolle.

 

Wer weiß, vielleicht führt mich mein Weg auch wieder indirekt zurück zur Altenarbeit. Menschen werden älter. Die Welt wird digitaler. Gleichzeitig erlebt das papierne Druckerzeugnis eine enorme Akzeptanz bei vielen Menschen. Der Weg für ganz besondere Medien, die Menschen jenseits der 60, 70 oder 80 gerne lesen, ist einer, der immer besser ausgebaut ist. So gerne möchte ich bei dieser so besonderen Art des Straßen- und Wegebaus helfen. Und in einer Sackgasse wird dieser Weg garantiert nicht enden. Kommunikation und Publishing für ältere Menschen hat Zukunft.

 

"Moin, auch mal wieder da? Das hast du geschrieben und gemacht? Liegt bei uns regelmäßig im Regal vom Essensraum." Wenn ich diesen Satz in zwei oder drei Jahren eventuell hören sollte, weiß ich jetzt schon, wer ihn sagen wird.